Dem Lärm sei Dank

2016-02-01 08.04.08Mit GP-Gemeinderat und VCS-Co-Geschäftsleiter Markus Knauss verbindet mich die Liebe zum FCZ und die Wahl des Velos als alltägliches Verkehrsmittel. Geht es um den Umgang mit dem Verkehrslärm, sind unsere Haltungen verschieden. Knauss und sein VCS wollen mit Einsprachen verhindern, dass die Stadt Zürich an lärmigen Strassen Schallschutzfenster finanziert. Der VCS Zürich will stattdessen, dass das Tempo auf den betreffenden Strassen auf 30 Stundenkilometer gesenkt wird.
Hintergrund der Sache ist, dass der Bund den Gemeinden vorschreibt, bis 2018 dafür zu sorgen, die vor langem definierten Lärmgrenzwerte einzuhalten. Bis 2018 kann die Stadt darum in Bern Subventionen zur Lärmbekämpfung abholen.
Eine Temposenkung hat natürlich eine grössere Wirkung als Schallschutzfenster. Wer gerne bei offenem Fenster schläft, dem hilft auch ein Schallschutzfenster nicht. Markus Knauss erklärt in einem Interview in der von SP-Nationalrätin Min Li Marti verlegten Wochenzeitung P.S. sein Engagement gegen den Lärm und für die flächendeckende Einführung von Tempo 30. Er will die «ansässige Bevölkerung» schützen. Das ist löblich. Aber ein Trugschluss. Wie war das schon wieder an der Weststrasse? Solange von morgens bis abends die Lastwagen durch die Strasse donnerten, wohnten Migranten und Studenten dort (hinter Schallschutzfenstern). Seit die Strasse verkehrsberuhigt ist, gehört sie mit ihrer zentralen Lage zu den begehrten Wohnorten. Viele Häuser wurden verkauft und renoviert oder abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die Strasse wurde durch die Beruhigung aufgewertet, und die Menschen, die an der ruhigen Weststrasse wohnen, sind nicht die gleichen, wie die, die an der lauten Weststrasse lebten.
Die Verkehrsberuhigung nützt also nicht einfach den Bewohnern, sondern den Hausbesitzern. Manchmal sind das die gleichen. Knauss und seine Frau und Co-VCS-Geschäftsleiterin Gabi Petri bewohnen in einer längst beruhigten Strasse im Kreis 3 ihr eigenes Heim.
Ich hingegen bin Mieter. Wohne seit 30 Jahren an einer der lärmigsten Ecken der Stadt Zürich, an der Kreuzung Röntgenstrasse/Langstrasse, gleich bei der Langstrassenunterführung. Hauptquelle des Lärms sind die schnellen S-Bahnzüge. Lärmquelle Nummer zwei sind berauschte Nachtschwärmer. Nummer drei in meiner Wahrnehmung ist der MIV, trotz Tempo 50 und dem imposanten Echoraum, den die Langstrassenunterführung bildet, und der bei Fahrern von Töffs und lauten Sportwagen mit Auspuffklappen ausserordentlich beliebt ist.
Ich will den Lärm nicht romantisieren, er ist manchmal lästig, vor allem nachts – ich schlafe gern bei offenem Fenster. Aber er ist die Bedingung dafür, dass ich schon so lange hier wohne. Die lärmige Wohnlage ist wenig begehrt, ergo ist die Miete tief. Die tiefe Miete ermöglicht mir Dinge zu tun, dies sich nicht monetarisieren lassen, um dieses Modewort zu gebrauchen. Zum Beispiel, diesen Blog zu schreiben. Dem Lärm sei Dank.

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